Der EURO trennt die Menschen


Über den Sinn von Talenten

Die wenigsten Menschen machen sich Gedanken über das Geld - wir benutzen es ganz selbstverständlich. Doch es ist wichtig und sinnvoll, über die verschiedenen FORMEN von Geld Bescheid zu wissen.

So gab es zum Beispiel ab dem 12. Jahrhundert für ca. 300 Jahre die sog. "Brakteaten". Der entscheidende Unterschied zu unserem heutigen Geld war, dass sie jeweils am Ende eines Jahres ungültig wurden. Wer bis dahin seine Brakteaten nicht ausgegeben oder auf dem "Geldmarkt" gegen Schuldscheine getauscht hatte, konnte sie in der nächsten Münze gegen neue, im folgenden Jahr gültige Münzen einwechseln. Allerdings musste er hier einen Abschlag von ca. 20% in Kauf nehmen, d.h. für 5 alte Münzen gab es nur 4 neue: Der Rest war die einbehaltene Steuer.

Nach der Einführung dieses Geldsystems kam es 300 Jahre lang zu einer ununterbrochenen Wirtschaftsblüte, geprägt von Wohlstand und Frieden: Über 300 Städte wurden gegründet, zahlreiche Dome und Kathedralen gebaut und es gab mehr als 100 arbeitsfreie Tage im Jahr, um nur einige Auswirkungen zu nennen.

Wie brachte diese Form des Geldes die Wirtschaft so effektiv und dauerhaft in Schwung? Um dies zu verstehen, muss man die direkten Auswirkungen betrachten: Da das Geld nur eine beschränkte "Haltbarkeit" hatte, also nach Ablauf des Jahres nur noch mit Verlust umgetauscht werden konnte, gaben es alle Bürger jeweils so schnell wie möglich weiter, d.h. sie gaben es aus, anstatt es anzusammeln. Es kam zu einer hohen Umlaufgeschwindigkeit des Geldes und damit zu einer gleichbleibend guten und stabilen Konjunktur. Der Fischer trug seine Brakteaten zum Bäcker, Hufschmied oder Maurer, dieser wieder kaufte beim Schneider, Wagner oder Maler ein, jener beim Bauern oder Schuster usw.

Das Geld lief also sozusagen den Menschen hinterher, und nicht die Menschen dem Geld. Natürlich blieb auch nach all den Tauschaktionen noch Geld übrig, das man sparen konnte und wollte. Damit es nicht verfiel, brachte man es auf den "Geldmarkt", wo man Schuldscheine dafür bekam, die auch nach den jährlichen Umtauschaktionen ihren vollen Wert behielten.

Dieses System war auch für Investoren erfreulich: angenommen ein Fischer wollte sich eine neues Boot kaufen. Dann gab er Schuldscheine aus, die z.B. durch den Gegenwert seines Hauses gedeckt waren, und bekam dafür die Menge an Brakteaten, die er zum Kauf des Bootes benötigte. Die Schuldscheine konnte er dann in den nächsten Jahren nach und nach wieder auslösen.

Daher dachte niemand daran, Zinsen zu verlangen - er wäre sofort auf seinem Geld (und auf dem jährlichen Wertverlust) sitzen geblieben. Die Investoren brauchten nur den tatsächlich geliehenen Betrag zurück zu zahlen; d.h. es genügte auch, dass ein Betrieb wirtschaftlich war, eine Rendite war überflüssig. Innerhalb kurzer Zeit überstieg das Angebot an Arbeitsplätzen die Nachfrage. Handwerker wurden hoch bezahlt, es herrschte allgemeiner Wohlstand. Wer von seinen Ersparnissen ausgeben wollte, tauschte einfach seine Schuldscheine ganz oder teilweise zurück. Die Ausgabe und Verwaltung der Schuldscheine übernahmen mit der Zeit die Banken; der Name der Scheine blieb bis heute erhalten: die "Bank-Noten".


Was ist nun das Wesentliche an der Struktur der Brakteaten?

  1. Sie wurden jedes Jahr ungültig. So hatte der Staat (damals noch in Form einer Monarchie) die Macht über das Geld und nicht umgekehrt; außerdem konnte die im Wirtschaftskreislauf befindliche Geldmenge jährlich überprüft und bei Bedarf neu eingestellt werden.

  2. Aufgrund des Wertverlustes machte es keinen Sinn, das Geld eigenmächtig zu horten. Heute dagegen ist jeder bemüht, möglichst viel Geld zu sammeln - es entsteht Konkurrenz, Neid und Druck.

  3. Weil das Geld schnell weiter gereicht werden musste, brachte es die Menschen zusammen; es wurde zum gemeinsamen Vorteil gehandelt.

  4. Geld bot sich selber an; es gab keinen Joker-Vorteil der Zeit (a), des Ortes (b) oder der Akkumulierung (c):

    1. heute kann Geld ewig liegen bleiben, während der Bäcker seine Brötchen am selben Morgen, der Journalist seinen Artikel am gleichen Tag und Siemens seine Computer innerhalb weniger Monate verkaufen muss, sonst gibt es keine Abnehmer mehr dafür;


    2. Geld kann nach Australien und zurück verschickt werden, um höhere Zinsen heraus zu holen - ein Arbeiter oder Handwerker kann das mit seiner Arbeitskraft oder seinem Produkt nicht tun.


    3. gehortetes Geld kann an einem Tag in ein Produktäquivalent von 1000 Arbeitsstunden umgesetzt werden - kein Mensch könnte an einem Tag tatsächlich 1000 Stunden arbeiten.


  5. Zinsen hätten in dieser Zeit nicht den geringsten Sinn gemacht und entsprechend auch keinen Bestand haben können: Niemand konnte durch den Besitz von Geld neues Geld erpressen.

  6. Das Geld floss automatisch (via Dienstleistung oder Ware) zur Arbeit, nicht wie heute zum Kapital.

  7. Die Städte waren reich durch die Produkte ihrer handwerklichen Arbeit: Kathedralen, schöne reich verzierte Häuser, öffentliche Bäder usw. waren an der Tagesordnung. Heute haben viele Städte nicht einmal das Geld, um die verlotterten Wände in den Klassenzimmern neu streichen zu lassen.

  8. Die von ihrem Wesen her entgegengesetzten Anliegen Tauschen und Sparen wurden damals auch mit voneinander klar getrennten Instrumenten abgewickelt: mit Münzen und Schuldscheinen.

  9. Sämtliche ausgegebenen Münzen waren am wirtschaftlichen Umlauf beteiligt, daher die blühende Konjunktur. Von den EURO-Münzen und Scheinen sind heute nur etwa ein gutes Drittel im Umlauf.

Was hat das alles mit unseren Talenten zu tun?

Nun, da gibt es einige Ähnlichkeiten:

  • Es ist wenig sinnvoll, Talente zu horten: vom Ansammeln werden sie nicht mehr. Natürlich kann jemand theoretisch auf einer größer werdenden Zahl von Talenten "sitzen bleiben" - aber das widerspricht ja eklatant dem ursprünglichen TAUSCHgedanken, macht also von der Konzeption her keinen Sinn.
  • Auch die Talente und ihre Umsetzung in Dienstleistungen bringen die Menschen zusammen; es entsteht Solidarität statt Konkurrenz.
  • Bei unseren Talenten gibt es keinen Joker-Vorteil weder bezüglich der Zeit (sie vermehren sich nicht "von selbst", weil es auf Talente keine Zinsen gibt), noch bezüglich des Ortes (sie gelten nur in einem definierten lokalen Bereich) noch bezüglich der Akkumulierung (an der Tauschbörse werden keine übergroßen Werte gehandelt, für die man Berge von Talenten ansammeln müsste).
  • So stehen die Talente auch ganz klar für den Zweck des Tauschens und haben keinerlei Sparfunktion.
Bleibt noch der Punkt, dass viele Talente trotz dieser Aspekte auf der hohen Kante zu liegen scheinen und nur zögernd umgesetzt werden - vielleicht würde es Sinn machen, ähnlich wie bei den Brakteaten eine Art Umlaufsicherung einzuführen, etwa in der Art, dass (zusätzlich zu den bisher einbehaltenen Verwaltungskosten) von den Talente-Konten, auf denen innerhalb eines Jahres kein Umsatz zu verzeichnen war, am Jahresende 10% der angesammelten Talente "für Verwaltungszwecke einbehalten" werden?

Walter Hofmann

Anmerkung:
Die abgebildeten Brakteaten wurden freundlicherweise
vom Historiker Peter Weiland zur Verfügung gestellt.

1. Abbildung: in Braunschweig geprägte Münze unter Herzog Heinrich der Löwe
2. Abbildung: eine in Überlingen unter Kaiser Friedrich Barbarossa geprägte Münze



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